Wer im Ausland einkauft, der darf sich die im Ausland bezahlte Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen. Das gilt für deutsche Touristen in Frankreich, Österreich oder Südafrika ebenso, wie für Schweizer, die in Deutschland einkaufen.
Vor allem für die Schweizer ist es zu einem regelrechten Sport geworden, billig in Deutschland auf Shoppingtour im Einzelhandel zu gehen. Durch Einkaufstourismus in Deutschland können Schweizer fast ein fünftel des tatsächlich bezahlten Betrages vom deutschen Staat wieder zurückholen. Eben die Mehrwertsteuer.
Bezahlt also ein Deutscher 100 Euro für ein Produkt, kann es der Schweizer für 81 Euro erhalten. Da die Kaufkraft des Schweizer Franken aber deutlich höher ist, als die des Euro, fühlt es sich für den Schweizer an, als habe er sogar nur 50 Euro gegenüber dem Kauf des gleichen Produktes in der Schweiz bezahlt.
Deshalb shoppen Woche für Woche Zehntausende Schweizer gerne im Südwesten Deutschlands. Doch das beliebte Grenzshopping hat seine Nachteile: Lange Warteschlangen an den Zollstationen Deutschlands, überfüllte Parkplätze und Einkaufzentren, die so manches Mal Probleme haben, den Ansturm von Schweizern zu bewältigen.
„Bagatellgrenze“?
Jetzt schlägt der baden-württembergische Minister Peter Friedrich (SPD) vor, dass künftig die Mehrwertsteuer nur noch ab einem Mindest-Mehrwertsteuer-Betrag in Höhe von 50 Euro zurückgefordert werden dürfe. Zwar nennt Friedrich das „Bagatellgrenze“, doch so niedrig ist sie nicht:
Denn das würde bedeuten, dass jeder Schweizer mindestens für rund 200 Euro in Deutschland einkaufen muss. Zudem gilt: Deutschland würde mit einer solchen Regelung international absolut aus dem Rahmen fallen.
Denn ob in Südafrika oder vielen anderen Ländern: Deutsche stellen sich dort beispielsweise brav an den Flughafenzollstationen an, um mal 20 Euro Mehrwertsteuer zurückzuerhalten, dann wieder nur 15 Euro. Eine von Baden-Württemberg ins Spiel gebrachte angebliche „Bagatellgrenze“ der Mehrwertsteuer von 50 Euro ist in Wahrheit eine recht hohe Grenze und alles andere als niedrig.
Dennoch ist der logistische Aufwand durch Grenzshopping in der Tat nicht gering. Immerhin kaufen die Schweizer jährlich für rund 10 Milliarden Schweizer Franken im benachbarten Ausland aus. Das meiste Geld – nämlich 5 Milliarden Schweizer Franken – fließt davon in die Geschäfte von Baden-Württemberg.
Staus im Südwesten Deutschlands
Die schweizerische Aargauer Zeitung schreibt von regelrechten „wöchentlichen Einfällen… im Grenzgebiet“. Dies führe oft zu Staus, aber auch vollen Parkplätzen oder Verkehrslärm in den Innenstädten. Betroffen seien vor allem, schreibt die Aargauer Zeitung weiter, baden-württembergische Städte wie Konstanz, Lörrach, Singen oder Waldshut.
Jeder Schweizer, der Mehrwertsteuer zurückhaben möchte, muss zum deutschen Zoll. Dort lässt er sich einen Ausfuhrschein abstempeln und holt sich dann die Mehrwertsteuer in dem Geschäft zurück, in welchem er eingekauft hat.
Dieses System ist doppelt kompliziert: Denn die Einkaufstouristen müssen ständig hin und herfahren. Selbst in Schwellenländern wie Südafrika ist das besser geregelt: Hier zahlt der Zoll direkt am Flughafen die zu viel bezahlte Mehrwertsteuer wieder aus, sofern man die Kassenzettel sowie Ware stichprobenartig vorzeigen kann.
Wichtig ist aber in zahlreichen Ländern, dass auf den Rechnungen der eigene Name steht. Dies gilt zumindest für die Fälle, wo überhaupt ein Name auf der Rechnung hinterlegt ist. Der Namen wird manchmal auf Rechnungen genannt, wenn man beispielsweise mit Kreditkarten bezahlt.
Mehrwertsteuer wird normalerweise direkt am Zoll ausbezahlt – nicht aber in Deutschland
Zweifelsohne ist in vielen Ländern die Ausbezahlung der zu viel bezahlten Mehrwertsteuer wesentlich weniger schikanös, als im Falle des deutschen Zoll.
Würden beispielsweise Länder wie Südafrika das deutsche Zollsystem übernehmen, müssten Tausende Touristen vom Flughafen zurück in die Shopping-Hotspots Kapstadt oder Franschhoek fahren, um sich dort das zu viel bezahlte Geld zu holen. Ein Unterfangen, was faktisch unmöglich wäre. Denn alleine die Fahrt zum Flughafen in Kapstadt kostet aus den meisten bei Touristen beliebten Urlaubsorten leicht zwischen 20 und 30 Euro oneway.
Deshalb ist die Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ein etwas doppelzüngiger Vorstoß. Als Argument führt man zwar die Entlastung der baden-württembergischen Bevölkerung an, die man durch eine Mindestgrenze der Mehrwertsteuer erreichen wolle.
Doch: „Eine Entlastung wäre schon dadurch gegeben, indem man den Irrsinn, wonach die Mehrwertsteuer direkt im Einzelhandel zurückgeholt werden muss, dadurch beendet, indem der Zoll die zu viel kassierte Steuer ausbezahlt, sagt ein Einzelhändler aus Konstanz gegenüber steuerratschlag.eu.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble lehnte einen Steuervorstoß aus Baden-Württemberg schon einmal ab
Doch ob Baden-Württemberg mit seinem Versuch eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes zu erreichen, überhaupt Erfolg hat, steht derzeit in den Sternen. Grund: Schon einmal hatte Deutschlands Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einen ähnlichen Steuer-Vorstoß aus dem Südwesten Deutschlands abschlägig beschieden.
Gut möglich, dass Schäuble dabei auch die internationalen Gepflogenheiten berücksichtigt hat. Und diese lauten: Es gibt weltweit kaum eine Mindestgrenze zur Ausbezahlung einer zu viel bezahlten Mehrwertsteuer.
Allerdings gilt auch das: Es gibt keine Regel ohne Ausnahmen. Und diese Ausnahmen sind ausgerechnet direkt an Deutschlands Grenze. So gilt schon heute in Frankreich und Österreich eine Mindestgrenzen von 50 Euro Mehrwertsteuer zur Erstattungsmöglichkeit der in diesen Ländern von Deutschen zu viel bezahlten Steuer.
Das heißt also: Erst wenn Deutsche in Frankreich oder Österreich Waren für rund 200 Euro kaufen, können sie die Zurückerstattung der zu viel bezahlten Steuer vom Zoll verlangen.
Für die Schweizer gilt wiederum: Diese kaufen in Deutschland in der Regel pro Shoppingbesuch deutlich unter 200 Euro Waren. Dies würde wiederum bedeuten, dass sie im Falle einer 50-Euro Mehrwertsteuergrenze in Deutschland künftig leer ausgehen würden. Immerhin rund die Hälfte aller Einkäufe von Schweizern in Deutschland kosteten weniger als 50 Euro, führt die Aargauer Zeitung an.
In der Schweiz koste der Einkaufstourismus Arbeitsplätze, beklagt der Staatssekretär
Glücklich sind aber die Schweizer Wirtschaftsverbände sowieso nicht mit dem Einkaufstourismus. So sagte der Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Bern, wonach der Einkaufstourismus von Schweizern in Deutschland gut 17.000 Arbeitsplätze im Schweizer Detailhandel koste.
Eine gute Maßnahme zur Eindämmung des Einkaustourismus könne nach Meinung des Schweizer Staatssekretärs eine Liberalisierung der Öffnungszeiten in den eigenen Schweizer Geschäften sein. Vor allem Geschäfte in den Schweizer Grenzkantonen St. Gallen, Tessin oder Waadt machten abends und am Wochenende viel zu früh zu, lautet seine Kritik.
Dass es für die Schweizer attraktiv ist, im billigeren Deutschland einzukaufen, lässt sich auch an der kurzen Reisezeit erkennen: Immerhin 31 Prozent aller Schweizer sind innerhalb von 30 Autominuten oder weniger in deutschen Geschäften.
Auch eine Verlängerung der Einkaufsmöglichkeiten in der Schweiz dürfte jedoch viele Schweizer Bürger nicht davon abhalten, die Billig-Shoppingtripps nach Deutschland Woche für Woche zu machen. Denn billiger würden die Waren in der Schweiz auch durch verlängerte Öffnungszeiten in den Geschäften nicht.