Am Mittwoch wurde der linke Ex-Präsident von Brasilien, Luiz Inacio Lula da Silva, zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das ist innerhalb von wenigen Monaten die dritte hohe Haftstrafe gegen ehemalige Mitglieder der abgesetzten linken Regierung von Brasilien. Kritiker zweifeln die Rechtsstaatlichkeit in Brasilien mittlerweile an.
Der Vorwurf lautet nun: Der Ex-Präsident von Brasilien habe in einer Luxus-Wohnung am Strand von Guaruja in São Paulo gewohnt und habe sich das vom brasilianischen Baukonzern OAS finanzieren lassen. Dies stelle deshalb den Vorwurf der Korruption dar. [1]
Während die Verteidiger des Ex-Präsidenten Lula da Silva den Korruptionsprozess als Farce einer korrupten Justiz und Regierung von Brasilien bezeichnen, gehen die neun Jahre Haft der umstrittenen brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft (MPF) nicht weit genug.
Sie kündigte am Mittwoch den 12. Juli an, man werde gegen das Gerichtsurteil des Bundesrichters Sérgio Moro in Berufung gehen. Die Staatsanwalt fordere mehr als neun Jahre Haft.
Lulas Verteidigung sagt, der Prozess sei voreingenommen und politisch motiviert. Es mangele von vorne bis hinten an Beweisen.
Dem entgegnete wiederum das brasilianische Gericht, dem eine Nähe zur aktuellen rechtsgerichteten Regierung nachgesagt wird: Die Untersuchung gegen den linken Ex-Präsidenten sei angeblich „überparteilich“ gewesen. Man habe versucht, allen Beteiligten Gehör zu verschaffen.
Lula da Silva verteidigte sich wiederum damit, dass die strittige Wohnung, in welcher er gewohnt habe, von ihm zwar genutzt worden sei, dass sie ihm aber nicht gehört habe.
Zudem sei es falsch, dass er im Gegenzug für das Wohnrecht Aufträge über den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras an den Baukonzern OAS vermittelt habe.
Außerdem gebe es keinen einzigen schriftlichen Beleg, dass die von ihm genutzte Wohnung sein Eigentum sei, noch dass er es dauerhaft genutzt habe oder nutzen dürfe.
Auch deshalb erklärten die Anwälte von Lula, er sei unschuldig. Zudem seien Beweise, welche die Aussagen von Lula da Silva belegten, vor Gericht konsequent ignoriert worden.
Der Prozess stelle, kritisierten die Anwälte, einen Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit Brasiliens und der Demokratie dar, ebenso der Menschenrechte. Es sei deshalb wichtig, dass die Weltgemeinschaft auf das gigantische Korruptionsverfahren in Brasilien schaue.
Brasiliens beliebter Ex-Präsident, der immerhin zwei Mal Brasilien als Präsident führte, wollte eigentlich zur nächsten Präsidentenwahl im Jahr 2018 antreten. Hier hatten Wahlprognosen ihm 30% der Stimmen als möglich vorhergesagt. [2]
Die Chance von Lula da Silva beruht nun aber erst einmal in einem Berufungsverfahren. Denn in Brasilien müssen Politiker in großen Korruptionsverfahren erst dann in Haft, wenn eine Berufungsinstanz das Urteil der Ersten Instanz bestätigt.
Derweil läuft parallel ein Strafverfahren gegen den Vorsitzenden Richter im Korruptionsverfahren. So wirft Lula da Silva dem ermittelnden Bundesrichter Sérgio Moro vor, dieser habe im Korruptionsverfahren um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras Missbrauch im Amt begangen.
Zudem wirft Lula dem Richter eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte vor. Grund: Der Bundesrichter habe ohne ausreichende rechtliche Grundlage mit 200 Polizisten die privaten Räumlichkeiten des Ex-Präsidenten durchsucht.
Zudem habe Moro Lula da Silva medienwirksam zu einem dreistündigen Verhör abgeführt. Das sei unverhältnismäßig gewesen und eine missbräuchliche Nutzung staatlicher Gewalt.
Das umfangreiche Korruptionsverfahren läuft in Brasilien unter dem Namen „Operation Lava Jato“. Übersetzt bedeutet dies „Autowäsche“, beziehungsweise „Operation Hochdruckreiniger“. [3]
Im Zentrum steht ein milliardenschwerer Schmiergeldskandal. Dieser wird seit dem 17. März 2014 durch den jungen Staatsanwalt Deltan Dallagnol geführt. Dutzende Beschuldige sitzen bereits in Haft.
Wie dem Richter, wird ebenso dem Staatsanwalt vorgeworfen, er werde seinem Amt nicht gerecht und handele politisch motiviert.
Zudem wird Staatsanwalt Dallagnol eine gewisse Profilneurose nachgesagt. So ist er regelmäßig in brasilianischen Talkshows zu sehen. [4]
Nach Angaben der ARD werde derzeit gegen 12 Gouverneure der brasilianischen Bundesstaaten, 24 Senatoren, 37 Parlamentsabgeordnete, fünf ehemalige Staatspräsidenten und acht amtierende Minister wegen Korruption ermittelt. [5] Fast alle Politiker gehören tendenziell l dem linken politischen Spektrum an.
Der ehemalige ebenfalls linke brasilianische Finanzminister ist kürzlich zu 12 Jahren Haft verurteilt worden. [5]
Ebenfalls zu über 15 Jahre Haft verurteilt wurde der linke ehemalige Parlamentspräsident von Brasilien verurteilt. Er hatte das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff mit initiiert, war aber dann selbst in den Korruptions-Vorwurfs-Sumpf gerutscht. [6]
Dass die Rechtsstaatlichkeit in Brasilien derzeit von vielen in Frage gestellt wird, zeigt sich auch am hohen Tempo der Verurteilungen. Denn Brasiliens Ex-Finanzminister war erst sechs Monaten vor dem kürzlichen Gerichtsurteil in U-Haft genommen worden.
In Deutschland wäre es undenkbar, dass innerhalb von sechs Monaten ein Korruptionsverfahren abgeschlossen wird, in welches so viele Regierungsmitglieder verwickelt sein sollen, wie es die brasilianische eher rechts stehende Justiz derzeit praktiziert.
Einzelnachweise
[1] „MPF vai recorrer de decisão de Moro para aumentar pena imposta a Lula„, von Agência Brasil, in: em.com.br vom 12. Juli 2017. Abgerufen am 13. Juli 2017.
[2] „Ex-Präsident Lula da Silva in Brasilien zu gut neun Jahren Haft verurteilt„, von Serena Pongratz, Harald Neuber, in: amerika21.de vom 13. Juli 2017. Abgerufen am 13. Juli 2017.
[3] „Operation Lava Jato„, in Wikipedia.
[4] „Jô Soares entrevista o Procurador da República Deltan Dallagnol„, Staatsanwalt Deltan Dallagnol zu Gast bei Talkmaster und Komödiant Jô Soares, von Magno Lima, auf: YouTube vom 04.08.2016.
https://youtu.be/iQAsz0V98YY
[5] „Brasilien: Korruption als Staatsdoktrin„, in ARD vom 23. April 2017.
[6] „Korruptionsskandal: 12 Jahre Haft für Brasiliens Ex-Finanzminister„, in: euronews, auf: YouTube vom 26. Juni 2017.
[6] „Hohe Gefängnisstrafe für korrupten Ex-Parlamentspräsident Brasiliens„, in: euronews vom 30. März 2017.