Die Lübecker Nachrichten (LN) schreiben beim Blick auf die Bundestagswahl am 24. September 2017 von einer „Tektonischen Plattenverschiebung“: Die Plattenverschiebung macht man in den Lübecker Nachrichten daran fest, dass die Unionsparteien CDU und CSU im Bundestag mit einem Stimmen-Minus von rund 8% auf nur noch 31% der Stimmen deutlich abgestürzt sind.
Doch wer sich mit Plattentektonik auskennt, weiß: Während die eine Kontinentalplatte auf die andere schiebt, muss die andere dem Druck weichen und knallt schließlich wieder zurück. Das Ergebnis ist eine Druckwelle, die ein Erdbeben auslöst mit häufig vielen Opfern.
Dass CDU und CSU nicht die drückenden Parteien sind, sondern die Gedrückten, ist klar, schaut man sich die Analysen zur Bundestagswahl an:
Gut 1 Millionen CDU-Wähler kehrten der CDU den Rücken und wählten stattdessen lieber AfD. Ähnlich dramatisch sieht es bei den Sozialdemokraten aus. Hier flohen rund 400.000 ehemalige SPD-Wähler in die Arme der „Alternative für Deutschland“.
Fakt ist: Das Wahlergebnisse zum Bundestag sind für alle drei Volksparteien eine Katastrophe und historisch ein recht einmaliger Denkzettel. Er ist aber möglicherweise mehr, als nur eine kurze Randerscheinung:
CDU, CSU und SPD verlieren immer mehr Boden als Volksparteien
Sowohl die „Christlich Demokratische Union Deutschlands“ (CDU), als auch die „Christlich-Soziale Union in Bayern“ (CSU), oder die „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD), verlieren auf Bundesebene immer mehr ihren Status als mehrheitsfähige Volksparteien. Dieser Trend wird nun einmal mehr deutlich.
Wie dramatisch schlecht das Wahlergebnis für die CDU und CSU ist, skizziert die Lübecker Nachrichten beim Blick Zurück zur vergangenen Bundestagswahl 2013:
„Vielleicht erinnert sich noch mancher an den Wahlabend vor vier Jahren, als die Spitzenpolitiker der Union auf der Bühne im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin standen und das Lied ‚An Tagen wie diesen‘ von den Toten Hosen erklang. Die Unions-Spitzen schunkelten und schaukelten, man hakte sich unter. Von der Leyen, Kauder, Gröhe. Und Angela Merkel. Fast hätte es damals für die absolute Mehrheit gereicht. Die Union, die Kanzlerin, im Zenit der Macht.“ (1)
Dass die Beleidigungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel gegen ostdeutsche Flüchtlingsgegner, diese seien „rechtes Pack, das eingesperrt gehört“ kontraproduktiv waren, sieht man an den dortigen raketenhaften Ergebnissen:
Denn nirgends in Deutschland konnte die AfD flächenmäßig so durchmarschieren, wie in der ehemaligen DDR, den sogenannten „Neuen Bundesländern“:
Im Schnitt machte hier mindestens jeder fünfte, teils sogar jeder dritte Wähler, sein Kreuzchen bei der AfD, 10.7%.
Volksparteien haben ein Personalproblem und leiden unter dem „Kartell der Mittelmäßigkeit“
Das Personalproblem hatte die SPD aber auch in Form des unbeliebten Justizministers Heiko Maas, der aus Sicht von vielen volksfern und arrogant agiert habe.
Während Gabriel die Ostdeutschen beschimpfte, machte dies Maas mit Millionen Facebook-Nutzern, die er recht pauschal der rechten Hetze verdächtigte, gegen die man massiv staatlich vorgehen müsse. Aus Sicht vieler, „war dies ein Angriff auf die Freiheit des Netzes mit fast diktatorischen Zügen“ sagt Peter, ein ITler aus München.
Personalprobleme gibt es aber auch bei der CDU und zwar nicht nur auf Bundesebene, sondern ebenso auf Landesebene. Die CDU ist beispielsweise in Thüringen oder Sachsen seit Jahren immer wieder in schmutzige Skandale verstrickt.
Doch dürfte der Verdruss von Millionen Arbeitslosen und HartzIV-Empfängern in Ostdeutschland sich nicht nur in Wut über zuziehende Flüchtlinge entladen, welche plötzlich ebenfalls HartzIV beziehen, beziehungsweise Grundsicherung.
Verdruss gibt es auch über „ein Kartell des Mittelmaßes bei ostdeutschen Landespolitikern in SPD, CDU, den LINKEN oder Grünen„. In diese Worte fasste ein Leipziger seine Enttäuschungen gegenüber steuerratschlag.eu zusammen.
Zwar sind die Wahlergebnisse der AfD in Westdeutschland deutlich schlechter als in den ostdeutschen Provinzen. Hochburgen, wo die AfD von der CDU nicht mehr weit entfernt ist, gibt es aber auch hier.
So kommt die „Alternative für Deutschland“ beispielsweise in der nordrhein-westfälischen Immigrations- und Flüchtlings-Hochburgen Gelsenkirchen auf mittlerweile 17,0%, die CDU nur noch auf 22,4%. (2)
AfD ist im Ruhrpott stark – da wo einst die Krupps und Thyssens regierten
Ähnlich dramatisch sieht es im Wahlkreis Duisburg II aus. Hier konnte die AfD 15,4% der Wählerstimmen einheimsen, die CDU nur noch 22,4%. (2f)
Auch in einer anderen ehemaligen Hochburg deutscher Hochindustrie, im Wahlkreis Essen II, ist die AfD nicht allzu weit von der abgestürzten CDU entfernt:
So kommt die AfD in Essen, dort wo einst die Krupps und Thyssen-Clans residierten, auf 15,0% der Wählerstimmen. Die CDU bringt es aber rund um den weltberühmten Krupp-Hügel nur noch auf 23,4% der Stimmen. (2ff)
Ebenso weist in Süddeutschland die AfD erdrutschartige Siege auf. Vor allem in Niederbayern hat die Partei großen Zulauf:
Im bayerischen Deggendorf kommt die Partei auf 17,3% der Wählerstimmen, in der Studentenstadt Passau auf 14,1%. In den Nachbargemeinden Rottal-Inn (15% wählten hier AfD) oder in Straubing (15%), sieht es nicht viel anders aus. 13,1% der Stimmen entfallen zudem in Altötting auf die AfD, in Regensburg sind es immer noch 11,8%. (3)
Selbst in Hessen gibt es Kommunen, die auffällig starken AfD-Zulauf von Parlamentariern zum Reichstag in Berlin aufweisen: In Fulda kommt sie auf 17,6% der Stimmen, in Gießen auf 11,5%. (3f)
Nicht viel anders ist es im schwäbischen Reutlingen bei Stuttgart, wo 12% der Stimmen auf die AfD entfallen. Und auch das nördlich von Stuttgart liegende schöne Fachwerk-Örtchen Calw hat eine große AfD-Fangemeinde. (3ff)
Denn immerhin 14,1% der dortigen Wähler, also jeder 7., machte sein Kreuz bei der AfD. Dass Calw der Wohnsitz des obrigkeitskritischen weltberühmten Dichters Hermann Hesse (1877 – 1962) war, muss dem nicht diametral entgegenstehen. (3ff)
Erika Steinbach fehlt der CDU als Chef-Lobbyistin des Bundes der Vertriebenen
Sehr gut kam die AfD auch im badischen Pforzheim an, wo die AfD vor wenigen Wochen noch eine große Wahlveranstaltung mit der langjährigen Chefin des „BdV – Bund der Vertriebenen“ (4), mit Erika Steinbach, abgehalten hatte.
Steinbach war bis 2014 lautstarke Lobbyisten für den BdV, der seit ihrem Rücktritt faktisch in die Bedeutungslosigkeit versunken ist und große Mühe hat, sich öffentlich Gehör zu verschaffen.
Doch verschwunden ist damit das Leid der Millionen Deutschen, welche nach den Enden des Ersten Weltkrieges und Zweiten Weltkrieges von Letten, Esten, Russen, Polen, Rumänen, Ungarn, Ukrainern oder Tschechen vertrieben worden sind, nicht. Viele der Vertriebenen könnten in der AfD eine neue Heimat erhalten.
Dazu beitragen könnte auch Erika Steinbach. Sie hatte 2017 nach Jahrzehnten der Bundestagsmitgliedschaft der CDU den Rücken gekehrt und sich als AfD-Unterstützterin in den politischen Ring geschmissen.
Wie immer sind Durchschnittswerte bei Wahlen nur Durchschnitte, die noch nicht viel über Ausschläge nach oben oder unten aussagen.
So liegt die AfD zwar im Schnitt in den Neuen Bundesländern bei über 21% der Wählerstimmen. Doch in Mittelsachsen wählte beispielsweise sogar jeder 3. die AfD – 31,5% der Wähler. (3ff)
Viele wählten in der Kriminalitätshochburg Görlitz an der polnischen Grenze die AfD
Ähnlich hoch ist die AfD in der Kriminalitätshochburg Görlitz an der polnischen Grenze, wo 32,4% der Bürger für die AfD entschieden. In der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge sind es gar 37,% und in Leipzig Land 28,7%. (3ff)
Selbst im norddeutschen Hamburg gibt es Regionen, welche regen AfD-Zulauf haben. Dazu gehört das unauffällige Hamburg Bergedorf-Haarburg mit 10,8% der Stimmen. (3ff)
Am runden TV-Tisch von ARD und ZDF wischten am sonntäglichen Wahlabend aber einige Großkopferten der Parteien das Wahlergebnis der AfD mehr oder weniger vom Tisch.
So sagte Deutschlands künftige Kanzlerin, Angela Merkel, sie könne auf der Straße doch nicht immer Immigranten von Deutschen unterscheiden, weshalb sie das Problem einer angeblichen Überfremdung nicht sehe.
„Fühle mich nicht mehr sicher unter hassenden Arabern“
Dabei ignoriert sie aber den Umstand, dass es in vielen deutschen Ortschaften durchaus einen Zusammenhang zwischen hohen Kriminalitätswerten und überproportional vielen Ausländern gibt. Sie blendet auch aus, dass sich viele Deutsche in einem zu stark multikulturellen Umfeld eben nicht mehr wohl fühlen:
„Ich bin promovierter Betriebswirtschaftler und habe selbst einen Immigrationshintergrund, da meine Eltern aus Italien kommen. Aber in Stadtteilen wie Nähe U-Bahnhof Hermannplatz in Berlin-Neukölln fühle ich mich nicht mehr wohl und auch nicht mehr sicher“, meint ein Leser von steuerratschlag.eu.
Zudem führt er aus, wonach man Kinder von Immigranten, die in den 1960er oder 1970er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen seien, „nicht mit Schwulen- Hassern aus arabischen Ländern vermischen“ dürfe.
Da er aber „Überfremdung durchaus als Sicherheitsproblem“ wahrnehme, habe der Leipziger dieses Jahr ebenfalls erstmals nicht mehr CDU, SPD, die LINKEN, FDP oder die Grünen gewählt, sondern eben die AfD. Er sei, begründet er das, „eben ein klassischer Wechselwähler“.
Der Wahl-O-Mat sah die CDU mit der AfD sehr dicht
Eine Führungskraft aus Baden-Württemberg testete vor der Bundestagswahl den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung: Das Ergebnis war deutlich: An erster Stelle stand die Wahlempfehlung, er solle CDU wählen, an zweiter Stelle kam gleich die AfD.
In der sonntäglichen ARD-Talkshow von Anne Will kommentierte Noch-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Umstand, dass gut 1.000.000 Wähler von der CDU ins Lager der AfD wechselten und gut 400.000 von der SPD zur AfD mit den Worten:
Es sei Unsinn die AfD generell als rechtsradikal zu bezeichnen. Dies zeigten schon die Wahlergebnisse.
Jetzt sei es dringend an der Zeit, sich mit den Nöten und Sorgen der Millionen Bürger auseinanderzusetzen, die AfD gewählt hätten. Die Taktik des Beschimpfen und Ignorieren funktioniere nicht mehr.
Manuela Schwesig (SPD): Wähler haben ein klares Signal gesendet, dass GroKo zu Ende ist
Das sah bei Anne Will auch Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin aus Mecklenburg-Vorpommern so:
„Die Wähler haben uns klar signalisiert, dass sie mit unserer Arbeit in der Großen Koalition nicht mehr einverstanden sind“. Deshalb sei der Gang der SPD in die Opposition im Bundestag die einzige Wahl gewesen.
Nach bisherigen Auswertungen entfallen folgende Stimmanteile auf die Parteien, die im Bundestag in Berlin sitzen werden:
So schreibt der Deutsche Bundestag auf seiner Homepage selber: (4)
„Die CDU/CSU bleibt trotz herber Verluste die stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag. Bei der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag am Sonntag, 24. September 2017, konnte die CDU nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis des Bundeswahlleiters 26,8 Prozent der Zweitstimmen auf sich vereinigen (2013: 34,1 Prozent). Zusammen mit der CSU in Bayern, die 6,2 Prozent erhielt (2013: 7,4 Prozent), kommt die Unionsfraktion auf 33 Prozent der Zweitstimmen (2013:41,5 Prozent). Es folgt die SPD mit 20,5 Prozent, was gegenüber 2013 (25,7 Prozent) ebenfalls einen deutlichen Rückgang bedeutet.“
Zudem sei, so bundestag.de, die „AfD auf Anhieb drittstärkste Kraft“ mit 12,6 Prozent der Stimmen. Sie habe 2013 noch bei 4,7 Prozent der Stimmen gelegen und sei damit an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.
bundestag.de schreibt weiter: „Die FDP, die 2013 mit 4,8 Prozent den Wiedereinzug verfehlt hatte, ist nun mit 10,7 Prozent der Zweitstimmen erneut im Bundestag vertreten.“
Zu den Linken führt bundestag.de ferner aus:
„Die Linke, bisher die größere der beiden Oppositionsfraktionen, verbesserte sich leicht gegenüber 2013 (8,6 Prozent) und kam auf 9,2 Prozent. 8,9 Prozent erzielten Bündnis 90/Die Grünen, die ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2013 (8,4 Prozent) ebenfalls steigern konnten.“
Einzelnachweise
(1) „Die deutsche Wut-Wende„, von Gordon Repinski und Dieter Wonka, in: Lübecker Nachrichten online vom 25.09.2017. Abgerufen am 25.09.2017.
(2) „BUNDESTAGSWAHL 2017„, wahlergebnisse.nrw.de.
(3, 3f, 3ff): WAHLKREISERGEBNISSE, interaktive Deutschlandkarte vom in: RP Online (Rheinische Post) vom 25.09.2017. Abgerufen am 25.09.2017.
(4) „CDU/CSU bleibt trotz Verlusten stärkste Fraktion im Bundestag„, in: Bundestag.de.
Webseiten-Einzelnachweise:
(5) BdV – Bund der Vertriebenen.