Auch Obdachlose ohne Ausweis oder Meldeadresse haben jetzt einen Anspruch auf ein Bankkonto.
Auch Obdachlose ohne Ausweis oder Meldeadresse haben jetzt einen Anspruch auf ein Bankkonto.

Dank einer Gesetzesänderung hat ab Sonntag den 19. Juni jeder in Deutschland Anspruch auf ein Bankkonto, ein sogenanntes Basiskonto. Ab Herbst 2016 gilt diese Regel auch für alle anderen 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU).

Nach Schätzungen sind alleine in Deutschland von dem neuen Gesetz gut 1 Millionen Menschen betroffen. Ihnen verweigerten Deutschlands Banken und Sparkassen bislang beispielsweise auf Grund einer Insolvenz, Privatinsolvenz, Obdachlosigkeit oder Haftzeit die Führung eines Kontos.

Künftig gilt: Ob Obdachlos, Ex-Häftling, Insolvenzler, Flüchtling oder ein EU-Bürger aus Polen oder Spanien – sie alle sollen ab sofort das Recht auf ein Bankkonto in Deutschland und eine Girokarte zum Geld abheben von Geldautomaten haben. Voraussetzung hier ist, dass wenigstens eine Adresse glaubhaft angegeben wird, über welche der Bankkunde erreichbar ist. Das muss keine Meldeadresse sein. Ein Ausweis ist künftig nicht mehr obligatorisch für die Eröffnung des sogenannten neuen „Basiskonto“ notwendig.

Mit dem neuem Gesetz folgt die Bundesregierung einer EU-Richtlinie der Europäischen Kommission. Sie bedeutet vor allem eines: Mehr soziale Gerechtigkeit. Denn bislang galt:

Wer aus finanziellen und sonstigen gesellschaftlichen Gründen jemals sein Bankkonto verlor oder noch niemals eröffnen durfte, hat ein Problem: Arbeitgeber werden bei Nicht-Angabe eines eigenen Bankkontos stutzig, stellen im Zweifelsall die Person nicht ein. Ohne ein Bankkonto kann kein Mietkautionkonto angelegt werden, welches immer häufiger obligatorischer Bestandteil eines Mietvertrages ist. Auch die Miete selber, sowie Gebühren für Handys, Strom oder Wasser werden über Bankkonten abgebucht oder überwiesen. Wer kein Konto hat, schaut hier ebenso in die Röhre.

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Das bedeutet: Kein Bankkonto zu haben ist eine existenzbedrohliche Situation. Vor allem für Empfänger von staatlichen Zuwendungen, wie HartzIV oder der Grundsicherung, ist das Fehlen eines Bankkontos eine weitere massive Belastung: Zusätzlich zu den ständigen Behördengängen kommen weitere hinzu – zum Geld abholen. Da Behörden in Deutschland chronisch überlastet sind, kann grob kalkuliert werden: Pro Behördengang dürften mit Anfahrt, Abfahrt, Wartezeit, im Schnitt gut zwei Stunden anfallen. Zeit, die künftig sinnvoller genutzt werden kann – zum Beispiel zum Bewerben für einen neuen Job.

Kein Bankkonto verschärft die sozialen Probleme für die Betroffenen erheblich

Ganz abgesehen davon: Gerade Obdachlose werden Nachts in den Obdachlosenunterkünften oder auf der Straße regelmäßig beklaut. Ist all sein oder ihr Bargeld in der Tasche, verschärft sich das Problem weiter.

Neben Obdachlosen sollen Flüchtlinge, also primär Asylanten, in den Genuss des Rechts eines Bankkontos kommen. Doch gerade bei ihnen hapert es bislang, wie kürzlich eine Studie bekannt gab. Demnach würden Banken und Sparkassen nach wie vor die Kontoeröffnung von Flüchtlingen gerne verweigern – meist mit der Behauptung, man habe Sorge vor späteren rechtlichen Problemen.

Zwar gibt es die sogenannten Jedermannkonten, beziehungsweise „Bürgerkonten“, in Deutschland offiziell über 20 Jahre, seit 1995. Allerdings beruhte dieses Konto bislang lediglich auf einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Banken und zwar im Rahmen einer Empfehlung der Deutschen Kreditwirtschaft (DK).

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Zahlreiche Untersuchungen ergeben jedoch, dass die Freiwilligen-Regelung bei den Banken und Sparkassen nicht den erwünschten sozialen Erfolg brachte. Sprich: Hunderttausenden Bürgern wurden doch Konten untersagt.

2012 führten deshalb die Deutschen Sparkassen die Regel ein, dass jede im Geschäftsgebiet einer Sparkasse ansässige Privatperson ein Guthabenkonto garantieren werde und zwar angeblich unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Doch konnte dies das Problem der unzähligen Kontolosen in Deutschland nicht grundlegend beheben. So ist denn die Bilanz des deutschen Bundesfinanzministeriums ernüchternd: „Trotz dieser Maßnahmen ist die Zahl der kontolosen Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren nicht signifikant gesunken.“

Für ein Bürgerkonto genügt künftig eine Adresse – die nicht einmal die offizielle „Meldeadresse“ muss sein

Ebenfalls ein Grund, weshalb Banken bislang Bankkonten, beziehungsweise ein Jedermannkonto oder Bürgerkonto ablehnten, war, dass die Antragsteller keinen Ausweis vorlegen konnten. Das dürfte künftig interessant werden, wie dieses im Bankalltag gehandhabt wird. Laut dem neuem Gesetz ist für Obdachlose oder Flüchtlinge die Vorlage eines Ausweises, beziehungsweise Passes, nicht mehr notwendig. Es genügt auch wenn eine Adresse, die glaubhaft erscheint, vorgelegt werden kann. So führt das Bundesfinanzministerium aus:

„Der Gesetzesentwurf stellt sicher, dass alle Verbraucher mit rechtmäßigem Aufenthalt in der EU die Möglichkeit haben, in Deutschland diskriminierungsfrei ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen zu eröffnen und zu nutzen. Dieses Recht auf Zugang zu einem Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen soll sowohl Unionsbürgern als auch Drittstaatsangehörigen in der Europäischen Union, Wohnsitzlosen einschließlich Obdachlosen, Geduldeten und Asylsuchenden im Sinne des Genfer Abkommens… zustehen. Wollen Obdachlose ein Basiskonto eröffnen, bedarf es für ihre Identitätsfeststellung der Angabe einer postalischen Anschrift. Diese Angabe ersetzt die Angabe einer bei einer Meldestelle erfassten Wohnanschrift, wie diese im Personalausweis enthalten ist.“

Basis des jetzigen Gesetzes in Deutschland ist eine Richtlinie der EU-Kommission, welche in Deutschland im Zahlungskontengesetz mündete. Dort steht unter anderem:

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„Der Schwerpunkt dieses Gesetzes liegt beim Recht eines jeden Verbrauchers auf Zugang zu einem Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen (Basiskonto). Ein solches Konto soll alle Funktionen umfassen, die zur Eröffnung, Führung und Schließung eines Zahlungskontos und für die Nutzung von Basis-Zahlungsdiensten (Bareinzahlungen, Barauszahlungen, Überweisungen, Lastschriften, Kartenzahlungen) erforderlich sind.“

Das Bundesfinanzministerium schreibt, wonach es mittlerweile eine „Binsenweisheit“ sei, dass ein „Zahlungskonto auch in Deutschland für jede Bürgerin und jeden Bürger ein elementares und zur Lebensführung notwendiges Produkt“ darstelle. Wer kein Zahlungskonto besitze und nicht am Zahlungsverkehr teilnehmen könne, sei „sozial und wirtschaftlich ausgegrenzt.“ Hinzu komme, dass Bareinzahlungen oder manuelle Überweisungen bei Banken für Personen ohne eigenes Bankkonto in aller Regel teurer seien, als für Kunden mit einem Bankkonto, also einem Girokonto.

Bundesfinanzministerium wünscht, dass Preisvergleichsseiten im Internet für mehr Transparenz bei Kontokosten sorgen

Ausdrücklich wünscht das Bundesfinanzministerium, dass sich die Internetbranche um die Vergleichbarkeit von Kosten für Bankkonten kümmert. So steht im Vorwort zum neuen Zahlungskontengesetz des Bundesfinanzministeriums:

„Die Vergleichbarkeit von Zahlungskontenangeboten soll für Verbraucher auch durch Vergleichswebsites deutlich erhöht werden.“ Zudem sehe das neue Gesetz vor, dass „durch Regelungen zur Kontenwechselhilfe Verbrauchern der Wechsel ihrer Zahlungskonten von einem Anbieter zum anderen erleichtert wird.“ In Verbindung „mit der Steigerung der Transparenz durch die Vergleichswebsites“ solle dies zu mehr Wettbewerb der Kontenanbieter führen.

Das Zahlungskontengesetz ist für alle Privatbanken sowie Volksbanken und Raiffeisenbanken verbindlich.

Künftig dürfen auch die Sparkassen eine Geschäftsbeziehung mit der Begründung, die Eröffnung eines Kontos sei „unzumutbar“ nur noch dann ablehnen, wenn bereits nachweislich bei einer anderen Bank ein Konto besteht. Diese gesetzliche Vorgabe ist nach Darstellung des Bundesfinanzministeriums nun „konkret und abschließend“ geregelt. Das bedeutet: Die Banken werden in ein klares legislatives Korsett gezwängt, in welchem sie sich zu bewegen haben.

Bei Bürgerkonten obligatorisch ist meist, dass Überziehungen nicht geduldet werden und deshalb nicht möglich sind. Dies soll aber auch dem Schutz des Kontoführers vor Überschuldung dienen.

Bankkonten dürfen nicht mehr so leicht gekündigt werden – das gilt auch für die neuen Basiskonten

Zudem gilt: Nicht jeder Zahlungsverzug berechtigt ein Institut zu einer Kündigung des Basiskontovertrages. Eine Kündigung wegen Zahlungsverzuges ist jetzt nur noch dann möglich, wenn der Zahlungsverzug einen nicht unerheblichen Teil der dem kontoführenden Institut geschuldeten Entgelte oder Kosten über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten schuldet.

Außerdem gilt, dass vor einer Kontokündigung durch die Bank zusätzlich zu besorgen ist, dass aus der Führung des Basiskontos weitere Forderungen entstehen werden, deren Erfüllung nicht gesichert ist (§ 42 Absatz 3 Nummer 2 des Zahlungskontengesetzes). Das heißt aber nichts anderes, als dass – da Kontoüberziehungen bei einem Basiskonto in der Regel sowieso unzulässig sind – eine Kündigung eines solchen Kontos durch eine Bank oder Sparkasse kaum mehr möglich ist.

Sollte dennoch eine Kündigung des Basiskontos durch die Bank oder Sparkasse erfolgen, kann der Betroffene vor Gericht dagegen klagen oder kostenlos mit Hilfe der Bafin dagegen angehen. Das Bundesfinanzministerium schreibt hierzu:

„Bei der Verweigerung des Anspruchs durch eine Bank kann der Berechtigte… vor einem ordentlichen Gericht Klage erheben. Alternativ kann der Berechtigte… die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beantragen, wenn die Bank über den Antrag nicht innerhalb von 10 Geschäftstagen entscheidet oder diesen ablehnt.“

Ist die Ablehnung eines Basiskontos bei einer Bank oder eine Kontokündigung „unrechtmäßig“, kann die BaFin die Eröffnung eines Basiskontos gegenüber der Bank durch Verwaltungsakt anordnen. Die BaFin ist verpflichtet, über diesen Antrag innerhalb eines Monats zu entscheiden. Für dieses Verfahren besteht kein Anwaltszwang. Das bedeutet: Es ist kostenlos und unkomplizierter als der Weg über ein Amtsgericht oder Landgericht.

Es werden noch zahlreiche Steine aus dem Weg geräumt werden müssen

Trotz des neuen Gesetzes dürften noch einige Steine aus dem Weg geräumt werden müssen – zur Not mit Hilfe der Rechtsprechung durch Gerichte. Denn schon bislang behaupteten die Banken gerne, sie hätten eine Kontoeröffnung nicht vollzogen, da man in Sorge vor Geldwäsche sei. Vor allem gegenüber Flüchtlingen dürfte diese Aussage nicht selten eine Standardfloskel an zahlreichen deutschen Bankschaltern sein.

Ganz so, als würde über Konten von Flüchtlingen Millionenbeträge abgewickelt. Zudem gilt bereits heute: Im Falle des Verdachts von Geldwäsche über ein konkretes bestehendes Bankkonto sind die Banken und Sparkassen so oder so angehalten die Behörden darüber zu informieren. Diese Regel gilt auch für Basiskonten.

Bis 18. September 2016 müssen alle 28 EU-Mitgliedsstaaten die neue Zahlungskontenrichtlinie der Europäischen Union umsetzen. Das bedeutet: Auch Deutsche haben dann das Recht in Spanien, Frankreich oder Italien ein Konto zu eröffnen, sofern nicht bereits ein anderes Bankkonto besteht.

Die deutschen Sparkassen teilten derweil mit, sie hätten schon heute für 250.000 Flüchtlinge ein Konto bei einer Sparkassen eröffnet. Da alleine 2015 gut 470.000 Asylanträge in Deutschland gestellt wurden, die Anzahl der realen Flüchtlinge vergangenes Jahr aber auf über eine Millionen geschätzt wird, scheint reichlich Platz nach oben.

Weitere Informationen unter: www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/FAQ/2015-10-28-basiskonto.html

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Von Frank

Frank faszinieren ausgefallene Geschäftsmodelle und Steuersysteme. Neben Russland interessiert er sich besonders auch für die Schweizer Steuermodelle oder jene in Südafrika. Kontakt über: frank.herrmann@steuerratschlag.eu

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